Ayurveda und Humanenergetik
Heyam duhkham anagatam - Yogasutra 2.16
Kommentar: Vergangener Schmerz, den wir durchlebt haben, kann nicht vermieden werden.
Gegenwärtiger Schmerz, den wir jetzt durchleben, kann nicht vermieden werden.
Aber der Yogi fühlt empfindsam wie ein Augapfel, dass er den zukünftigen Schmerz vermeiden kann.
Die Jahrtausende alte Arbeitsteilung
Ayurveda beschäftigt sich nur so weit, wie es für eine ausführliche Diagnose notwendig ist mit der tiefen Vergangenheit des Patienten, ganz gemäß dem Yogasutra.
Die Vaidya, die Mediziner des Ayurveda arbeiten respektvoll seit Jahrtausenden mit den Heilern, die sich vorwiegend mit den Wirkungen aus der, im Verborgenen liegenden Welt der Vorfahren oder früheren Leben beschäftigen, zusammen. Eher selten eigenen sich sie Ayurveda Vaidya diese Kompetenz selbst vollständig an. Dies geschieht nicht um diese Realität zu verleugnen oder gering zu bewerten, sondern um den eigenen hohen empirischen Anspruch der Reproduzierbarkeit von Ergebnissen gerecht zu werden, vor allem aber um sich selbst angesichts des Umfanges des ayurveda Wissen nicht zu überfordern.
Es werden beide Realitäten respektvoll anerkannt jedoch durch Spezialisierung in zwei getrennten Wegen parallel beschritten.
Bereits im ältesten Schriftwerk der Welt, dem Rigveda, wird diese Aufteilung beschrieben und als gleichwertiger Zwillingsweg beschrieben. Nur so ist zu verstehen, dass die beiden Wirklichkeiten durch göttliche Zwillinge symbolisiert werden.
Die mythischen Götterärzte von Ayurveda, die Ashvin Zwillingsbrüder, werden im Rigveda besungen. Nasatya, „der freundliche Helfer in der Not“, ist mit Jyoti der Entsprechung oder Göttin des menschlichen Körpers verheiratet, er ist der Patron der Heilkundigen über alles Körperliche.
Drasa, „der voller erleuchteter Gaben ist“, hat dunkle Hautfarbe und ist mit einem Wesen aus der Schattenwelt verheiratet. Er ist Patron all der Heiler, die in der Tiefenpsychologie oder dem rein energetischen Bereich oder der mystischen Welt der Humanenergetiker zuzuordnen sind.
Kooperation statt Exklusion
Genauso wie sich Energetiker oft mit Naturheilmitteln beschäftigen und beide Verfahren durchaus auch gleichwertig nebeneinanderstehen können, so gibt es natürlich auch Ayurveda Vaidya´s die dies ebenfalls tun.
Die relativ junge Pulsdiagnose ist so ein grenzüberschreitender Fall. In der heute populären Form hat sich die Pulsdiagnose erst im 15. Jahrhundert n. Chr. herausgebildet. Die Wirkweise entzieht sich einer rein objektiven Bewertung und ist somit auch eher dem energetischen Spektrum zugeordnet. Zum besseren Verständnis der Pulsdiagnose ist wichtig zu wissen, dass in der islamisch geprägten Mogulphase ab dem 14. Jahrhundert die sorgfältige Untersuchung der Damen des Hofes, durch die rein männliche Ärzteschaft, aus religiös dogmatischen Gründen nicht mehr möglich war, also wurde eine auf sparsa, dem subtilen Spüren begründete Diagnoseform integriert.
Für Pranayama, Yoga, Klang- und Farbtheorie, Vastu, Frequenztherapien oder Mantra sind valide Begründungs- und Wirktheorien in den alten vedischen Schriften vorhanden. Für die Organdiagnostizierende Verwendung fehlen sie aber bei reiner Puls-, Iris- und Zungendiagnose und werden im klassischen nordindischen Ayurveda nur als Teilaspekte der nidana, der Gesamtdiagnose angesehen.
Für eine, auf sparsa, körperlich Spüren begründete Diagnose, fehlen die vedischen Quellen. Für eine auf shabda, das subtile Verstehen im durya Zustand begründete Erkenntnis sind detaillierte Anleitungen beschrieben. Dies könnte mit klarer Eingebung oder erleuchteter Intuition umschrieben werden.
Die Grenze zwischen diesen beiden Verfahren sind jedoch eher fließend.
Die rogī-parīkṣā – die Untersuchung des Menschen, und die roga-parīkṣā – die Untersuchung der Krankheit, sind in der Ayurvedamedizin komplexe und umfassende Befragung, Untersuchung und Schlussfolgerung, die aus ayurvedischer Sicht nicht mit einer Einzel Methode abgedeckt werden können.
Die ältesten Originaltext-Fragmente der Rig veda, in denen Ayurveda als höchste Veda bezeichnet wird sind mindestens 3800 Jahre alt und in Devanagari, „Schrift der göttlichen Stadt“ verfasst. Die vedische Kultur hatte davor eine hoch entwickelte und lange Tradition der exakten mündlichen Wissensweitergabe.
“Das, was wir Leben nennen, ist nichts anderes als die Verbindung von Geist, Seele und Körper (…)” (CS I.42) und “(Daher) können die Ursachen der Krankheiten sowohl im Körper als auch im seelischen Bereich liegen” (CS I.55).
Fokus auf das Wesentliche
Die leidenden Menschen und deren Bedürfnisse stehen im Mittelpunkt und keinesfalls eine isolierte Monotherapie, oder dogmatische Glaubenssätze der Heiler.
Den Ayurveda Vaidya ist empfohlen eher der vorreligiösen Samkhya Philosophie zu folgen, als dass sie selbst religiös motivierten Konzepten anhaften.
Die Begrifflichkeit „religiös motivierte Konzepte“ wird hier sehr weit gefasst und schließt annähernd jeden ….ismus“ mit ein.
Dies gilt aus ayurvedischer Sicht auch für „neo pagane“ Heilslehren, Schamanismus aus den Amerikas oder aus Afrika und genauso für etablierte Religionen.
Ayurveda sieh auch die Behandlungen mit isolierten Mikronährstoffen mit „allheilender Wirkung“ ambivalent, da sich oft der Unterschied zur pharmazeutischen Industrie nicht klar erschließt, außer dass die Strukturen vorübergehend noch keiner sind.
Frequenztherapie wird im Ayurveda sehr ausführlich behandelt und auch hier ist noch nicht konklusive geklärt, ob ein technisches Gerät tatsächlich einen höheren Effekt als Mantra und tradierte Klangtherapie bietet. Auch hier forschen Kollegen und versuchen zu bewerten, ob ein technisches Gerät nachweisliche Vorzüge aufweist.
Eine komplette ayurvedische Therapie kann sowohl als reine alternative Medizin, als auch, bei Bedarf, mit psychischer, spiritueller, technischer oder energetischer Begleitung von integrierenden Praktikern, oder gemeinsam mit gewogenen Kolleginnen anderen Disziplinen, durchgeführt werden. Selbstverständlich werden auch westliche Mediziner in einer Gesamtstrategie vom Ayurveda Mediziner eingebunden, bzw. an diese bei akuten schweren Zustanden zugewiesen.
Kritisch sieht Ayurveda einseitige Heiler-zentrierte Aussagen wie: „ich habe dich geheilt!“, dies findet im ayurvedischen Sprachgebrauch keinen Platz.
Auch einseitige Aussagen zu Heilslehren oder einzelnen Präparaten oder Verfahren die „für sich selbst alleine Krankheiten heilen“ können, werden eher einem materiellen Verständnis, ähnlich dem der Pharmazie oder Technisch-Chemischen Medizin zugeordnet.
Natürlich soll damit nicht die Wirksamkeit diese Methoden oder Präparate herabwürdigt oder deren Erfolge in Abrede gestellt werden, sondern ist dem jahrtausendealten Verständnis von Ayurveda geschuldet, nicht die Krankheit, die Methode oder ein Produkt, sondern das Leben zu Betrachten.
Der Schulmedizin und den Einzel-Therapien/Produkten ist gemeinsam, dass das Symptom oder die Krankheit einen gemeinsamen Nenner darstellt, der über eine Gruppe von Menschen gespannt wird.
Ayurveda Mediziner arbeiten seit je her oft und gerne mit Schulmedizinern und Heilern (die heute eben Humanenergetikern genannt werden) zusammen oder erwerben selbst zusätzlich Teile dieser Kompetenz, da unter den vielfältigen Ursachen der Krankheitsentstehung den Störfeldern und energetischen Einflüssen eine nicht ausschließliche aber sehr große Bedeutung beigemessen wird.
„Wer jedoch kundig ist in der (diagnostischen) Unterscheidung der Krankheiten, sachkundig in allen Heilmitteln und vertraut mit dem richtigen Maß von Ort (deśa) und Zeit (kāla), dem (wird in der Therapie) zweifellos Erfolg (zuteilwerden).“
(Caraka-saṃhitā, Sū., XX.22)
Vedisches Wissen ist oft auch wo drinnen, wo man es gar nicht vermuten würde
Viele der vedischen Techniken haben in unsere alternativen Heilmethoden Eingang gefunden und werden von Spezialisten erfolgreich angewandt:
- Atem-Therapie Pranayama
- Klangtherapie
- Farbtherapie
- Therapien mit ätherischen Ölen
- verschiedenste Yoga und
- viele Ernährungstrends
- Öl-Anwendungen
- Pulsdiagnose
- Zungendiagnose
- ….
Diese haben sich legitim als teils eigenständige Behandlungsformen im breiten Spektrum der Humanenergetik und der Naturheilkunde etabliert und beziehen sich zurecht stolz auf ihre vedische Tradition.
Im klassischen nordindischen Ayurveda herrscht Konsens darüber, dass Ayurveda Medizin vorwiegend eine nicht-materielle Medizin ist, bei der alle bekannten Methoden berücksichtigt werden sollen und alle Aspekte und Umstände des Lebens eines Patienten miteinbezogen werden. Behandlungen, Präparate und Verfahren dienen zur Begleitung einer gesamtheitlichen Therapie, wo sie nützlich sind und eingesetzt werden können. Eine einzelne Mono-Behandlung oder Diagnoseform steht bei der Ayurveda Medizin jedoch nicht im Vordergrund und ist aus der seit Jahrtausenden fortgeschriebenen Erfahrung selten nachhaltig hilfreich.
Was dem Schmied bekommt, bringt den Schneider um!
(Europäisches Sprichwort)
Von alters her versteht sich der Ayurveda Vaidya nicht als „über den anderen Heilern stehend“ sondern als Generalist, so wie der alte Hausarzt in Europa, als Weggefährte, als „Weiser des Weges“, und als Vernetzer von kundigen Spezialisten, denen allen gemeinsam ist, dem Leid der Menschen aufs Beste zu begegnen.
hitāhitaṃ sukham duḥkham āyus tasya hitāhitam
mānaṃ ca tac ca yatroktam āyurvedaḥ sa ucyate
Āyurveda ist das, worin behandelt wird das heilsame und unheilsame, das glückliche und unglückliche Leben
sowie das was für dieses heilsam oder unheilsam ist, sein Maß und das Leben selbst.
(Caraka saṃhitā I,30,24)